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Medikamentenabhängigkeit - Die Sucht im Schatten

In Deutschland gibt es bis zu 1,9 Millionen medikamentenabhängige Menschen.[1]  Hinzu kommt eine große Zahl an Personen, welche in verschiedenen Abstufungen in problematischer Form Arzneien konsumieren. Es ist allerdings von einer beträchtlichen Dunkelziffer auszugehen. Wie hoch der Arzneiverbrauch in Deutschland tatsächlich ist, lässt sich vor allem aus den Berichten der Krankenkassen zum Arzneiverbrauch ableiten. Zu den Risikogruppen zählen vor allem Frauen, ältere Menschen, Personen welche unter chronischen Schmerzen und/oder Ängsten leiden und Personen die bereits von Alkohol und/oder Drogen abhängig sind.[2] Viele Menschen sind verblüfft zu hören, dass in Deutschland mehr Menschen von Medikamenten abhängig sind als vom Alkohol.[3] Das liegt vor allem daran, dass Medikamentenabhängigkeit eine „stille“ Sucht ist. In der Regel riecht man nach Medikamenteneinnahme nicht (im Vergleich zur „Fahne“ nach Alkohol), die Einnahme erfolgt meist diskret und der Konsument wirkt oft in seinem Verhalten nicht massiv verändert.

Oftmals wird Medikamentenmissbrauch von den Betroffenen und dem Umfeld über eine geraume Zeit gar nicht als Problem bemerkt. Doch woran liegt das? Die Nutzung von Medikamenten zur (Selbst-)Behandlung von Symptomen ist in unserer Kultur ein „normales“ Phänomen. Teilweise verschreiben Ärzte über eine längere Zeit hinweg freizügig Medikamente.  Apotheker geben diese ohne weitere Nachfrage heraus. Dies verstärkt bei den Betroffenen das Gefühl einer „legitimen Einnahme“. Oft bestehen die Symptome, wegen denen man einst zur Tablette griff, bei einem Versuch die Arzneien abzusetzen (vermeintlich) noch immer. Viele fühlen  sich bei der Einnahme nicht benommen und haben sogar das Gefühl mit den Arzneien leistungsfähiger zu sein als zuvor, die Medikamente zu benötigen um den Tag zu bewältigen.[4] Auch dem Umfeld fällt lange nichts auf. Erst langsam macht sich bei den Betroffenen das Bewusstsein breit, dass es zunehmend mehr Tabletten werden, weil die Wirkung nachlässt oder dass man ohne einen gewissen Vorrat Unruhe verspürt. Es kommt vielfach die Sorge hinzu, ob der Arzt auch weiterhin die Arzneien verschreibt und der Bezug gesichert ist. Vielleicht verspürt der Betroffene auch eine gewisse Scham, weil er bemerkt,  dass etwas aus dem Ruder gelaufen ist. Viele fühlen sich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Änderung und dem Gefühl nicht auf die Arzneien verzichten zu wollen. Aber häufig werden die Tabletten beim nächsten Arztbesuch auch weiterhin kommentarlos verschrieben und die Beschwerden verschwinden kurzfristig mit der Einnahme. Also ist doch alles in Ordnung… Oder doch nicht?

Es gibt Medikamente, welchen ein so genanntes Abhängigkeitspotential zugeschrieben wird. Abhängigkeitspotential bedeutet, dass ein Medikament über eine gewisse Einnahmedauer (die teilweise nur eine kurze Zeitspanne beträgt) eine Sucht erzeugen kann. Bei in Deutschland zugelassenen Arzneien sind es immerhin fünf Prozent.[5] Dies ist vor allem bei Schlaf- und Beruhigungsmitteln, bisweilen auch Schmerzmitteln  der Fall.

Typisch  für eine Abhängigkeit ist dabei unter anderem eine gewisse Toleranzentwicklung, d.h. es kommt zu einer körperlichen Gewöhnung an das Mittel und man braucht daher eine höhere Dosis um die Wirkung zu erhalten. Bei wenigen Medikamenten (v.a. Benzodiazepinen) kann es allerdings auch zu einer so genannten „Niedrigdosisabhängigkeit“ kommen. Dabei wird bei bereits bestehender Abhängigkeit die oftmals geringe Dosis nicht gesteigert.[6]

Ein weiteres bekanntes Kriterium für eine Abhängigkeit sind so genannte Entzugssymptome. Aufgrund der Gewöhnung an das Medikament treten bei einer Unterbrechung der Einnahme oft unangenehme Symptome auf, die paradoxer Weise oft der damaligen Ursache der Tabletteneinnahme sehr ähnlich sind.  Nimmt man beispielsweise aufgrund von Schlafstörungen für mehrere aufeinanderfolgende Tage Schlafmittel ein, wird es nach dem Absetzen der Schlafmittel oft für eine oder mehrere Nächte Schlafprobleme geben. Diese sind dann allerdings auf das Absetzen zurück zu führen und nicht unbedingt auf ein Fortbestehen der Grundstörung. Das Phänomen wird aber fataler Weise oft missinterpretiert und ein Weiterbestehen der grundliegenden Störung angenommen. Etwas häufiger kennt man dieses Phänomen vielleicht bei Nasensprays oder Abführmitteln. Bei einer regelmäßigen Einnahme gewöhnt sich der Körper an diese Mittel. Man braucht mehr davon und beim Absetzen erlebt man oft, dass ohne Nasenspray die Nasenatmung weiter behindert ist oder man ohne das Abführmittel Probleme mit der Verdauung hat. Nach ein paar Tagen ohne weitere Einnahme der Mittel reguliert sich dies aber in der Regel von selbst.[7]

Natürlich gibt es eine Vielzahl von Medikamenten, welche dauerhaft eingenommen werden müssen. Keine Frage. Aber auch hier gilt es in Absprache mit Ihrem Arzt genau zu prüfen, ob und wie lange eine Einnahme in welcher Dosis von Nöten ist. Man spricht hier von einer so genannten 4-k-Formel: Klare Indikation, kleinste notwendige Dosis, kurze Anwendung und kein abruptes Absetzen.[8] Hier sollten Sie als mündiger Patient auftreten und auch von sich aus jede Medikamenteneinnahme kritisch hinterfragen und auf die Notwendigkeit prüfen.

  

 Bild: © Taki Steve / CC-by-2.0

 

Ein kritischer Umgang mit eigenen Konsumgewohnheiten ist nie verkehrt. Im Folgenden finden Sie dazu einige Fragen (angelehnt an Watzl et al. 1991, Fragebogen zur Erfassung von Medikamentenmissbrauch).

Trifft es zu, ….

… dass  ihr Medikament nicht mehr so wie früher wirkt  oder Sie mehr Tabletten einnehmen müssen um die gleiche Wirkung zu spüren?

… dass Sie manchmal selbst erstaunt sind wie viele Tabletten Sie an einem Tag eingenommen haben?

… dass Sie in einigen Situationen ein starkes Verlangen nach Ihrem Medikament verspüren?

… dass Sie ohne Medikamente schlecht schlafen, sich weniger leistungsfähig oder unwohl fühlen?

… dass Sie anderen verheimlichen wie viele Tabletten Sie wirklich einnehmen?

… dass Sie sich vorsichtshalber einen Vorrat Ihres Medikaments angelegt haben?

… dass Sie sich die Tabletten von mehreren Ärzten verschreiben lassen oder andere Menschen gebeten haben Ihnen diese Medikamente zu besorgen?

… dass andere Menschen Sie wegen Ihres Tablettenkonsums angesprochen haben oder der Meinung sind Sie hätten ein Problem?

… dass Sie manchmal aufhören möchten Medikamente zu nehmen, dann aber wieder nicht.

Bei den obigen Fragen geht es vor allem um Tabletten welche Sie einnehmen, um weniger Schmerzen zu haben,  Ihre Stimmung zu verändern, besser schlafen zu können, ruhiger oder leistungsfähiger zu werden. Wenn Sie mehrere dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet haben, kann es sich um Anzeichen eines problematischen Medikamentenkonsums handeln.  Um dies zu klären, wenden Sie sich am besten an eine Psychosoziale Beratungsstelle für Suchtprobleme, Ihren Hausarzt oder eine Apotheke. Was viele nicht wissen: Suchtberatungsstellen sind nicht nur für Betroffene ein geeigneter Ansprechpartner, sondern auch für Angehörige oder sonstige Bezugspersonen.

von Ingrid Griebel, Psychosoziale Beratungsstelle für Suchtprobleme

[1] Vgl. Soyka et al. 2005: Wo verstecken sich 1,9 Millionen Medikamentenabhängige? Nervenarzt, 76 (1). S. 72.

[2] Vgl. Lindenmeyer 2010: Lieber schlau als blau. Entstehung und Behandlung von Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit. S. 86.

[3] Vgl. DHS 2013: Medikamentenabhängigkeit. Suchtmedizinische Reihe Band 5. S. 27.

[4] Vgl. Elsasser/Sartory 2001: Medikamentenabhängigkeit. Fortschritte der Psychotherapie. S. 6.

[5] Vgl. Lindenmeyer 2010: Lieber schlau als blau. Entstehung und Behandlung von Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit. S. 89 ff.

[6] Vgl. DHS 2013: Medikamentenabhängigkeit. Suchtmedizinische Reihe Band 5. S. 15 f.

[7] Vgl. DHS 2013: Medikamentenabhängigkeit. Suchtmedizinische Reihe Band 5. S. 20 ff.

[8] Vgl. Bundesärztekammer 2007: Medikamente – Schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit. Leitfaden für die ärztliche Praxis. S. 30.