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“Abschied von Rosarot” – Wenn eine/r fremd gegangen ist

Für uns als BeraterInnen ist es ein fast alltägliches Thema, für die Betroffenen meist die Katastrophe in der Beziehung schlechthin: Der Partner/die Partnerin geht fremd, hat ein Verhältnis, bricht die Ehe, hat eine/n andere/n, betrügt, begeht einen Seitensprung, lebt eine Außenbeziehung... Die Vielfalt der Formulierungen drückt aus, dass es da um etwas geht, was nicht so selten vorkommt.

Ein Beispiel: Nennen wir sie Heike und Norbert

Wenn Paare in einer solchen Situation nach professioneller Hilfe suchen, dann ist die Situation fast immer äußerst aufgeladen, wie z.B. bei Norbert und Heike: Beide sind um die 40 Jahre alt, seit 15 Jahren verheiratet, haben zwei Kinder von 14 und 9 Jahren. Heike hat vor kurzem die Gewissheit bekommen: Er “hat ein Andere” – und das schon seit über drei Jahren. Es ist eine Frau aus der Nachbarschaft, die Heike natürlich kennt. Unter Heikes Druck hat Norbert nach und nach gestanden, wie oft und wie intensiv er mit dieser Frau Sex hatte. Heike ist nur noch schockiert.

Das ist nur ein Beispiel, alle genannten Details können variieren: Es kann die Frau sein, die eine Außenbeziehung hat, die Partner können kürzer oder länger verheiratet sein, “das Verhältnis” kann eine den Partnern ganz nahe stehende oder völlig entfernte Person sein, der Sex kann ganz oder kaum im Mittelpunkt der Außenbeziehung stehen und, und, und...

Wie kann es weiter gehen?

Es mag fast paradox klingen, aber bei Norbert ist beim ersten Beratungsgespräch auch ein Stück Erleichterung zu spüren. Nicht allein die Geheimhaltung der Treffen mit der anderen Frau hat ihn sehr belastet. Manche Therapeuten vertreten die Auffassung: Es ist kein Zufall, wenn solche Außenbeziehungen aufgedeckt werden. Denn es drückt sich oft unbewusst beim “Betrügenden” ein Wunsch nach radikaler Veränderung in der Ehe aus, die anders nicht erreicht werden konnte.

Nachdem Heike nun weiß, was geschehen ist, bringt Norbert klar zum Ausdruck: Er will Heike und die Kinder auf keinen Fall verlieren und möchte die Beziehung zur anderen sofort beenden. Eine solche Reaktion kommt zwar nicht bei allen, aber doch bei sehr vielen solcher Fälle vor. Heike ist hin und her gerissen: Auch sie will die Ehe eigentlich nicht beenden, aber gleich die Hand zur Versöhnung und zum Neuanfang reichen, das kann sie auch nicht. Zu tief ist sie verletzt. Ihre Gefühle der Wut und des Zorns brauchen viel Raum; das ist ein Prozess, der über viele Sitzungen hinweg geht.

“Täter” und “Opfer”

Norbert nimmt die Schuld auf sich: “Ich habe den größten Fehler meines Lebens gemacht. Ich verstehe nicht, was in mich gefahren ist. Ich will alles tun, damit es wieder gut wird.” Hier beginnt ein neuer wichtiger Teil des therapeutischen Prozesses: Die vom Paar selbst so eingebrachte Einteilung in “bösen” Täter und “gutes” unschuldiges Opfer ist zwar auf den ersten Blick ebenso einleuchtend wie entlastend, bringt aber die zwei auf Dauer nicht weiter. Die Gefahr besteht, dass Norbert versucht, “alles” zu geben, Heike aber darauf stereotyp reagiert: “Das ist noch nicht genug, um meinen Schmerz zu überwinden”. Ein Endlosmuster droht – der Täter bleibt der Täter und somit aktiv, das Opfer das Opfer und somit passiv. Es kann nichts Neues in der Beziehung wachsen. Auch wenn es Norbert war, der den “Fehltritt” begangen hat, müssen sich beide mit ihrer Verantwortung für die Entwicklung vor dem Beginn des Verhältnisses auseinander setzen. Bei dieser Überzeugung bleibt der Berater auch dann hartnäckig, wenn Heike zunächst gereizt reagiert: “Jetzt soll ich auch noch schuld sein, dass ich betrogen worden bin?”. Eine weitere Variante einer solchen nicht förderlichen Einteilung in Täter und Opfer kommt auch bei Heike und Norbert einige Zeit später zum Vorschein, wenn sich beide einig sind: Die wirklich Schuldige ist die Andere, sie ist die “böse Hexe” (der Ausdruck fällt wörtlich!), die Norbert in ihren unheilvollen Bann gezogen hat.

Verantwortung übernehmen

Was bedeuten diese Sichtweisen für das Paar? Beide distanzieren sich von ihrer Verantwortung und bleiben sich das einander schuldig, was bisher an Enttäuschungen oder Verweigerungen voreinander ungesagt blieb und in der Außenbeziehung seinen Ausdruck gefunden hat. Der Fokus in einer Beratung wie mit Heike und Norbert liegt immer auf dem, was zwischen dem Paar ist und war oder eben nicht. Was genau in der Außenbeziehung geschah, ist nur insoweit von Bedeutung, wie es zum Verständnis des Paarmusters beiträgt: Welche unerfüllten Bedürfnisse drücken sich da aus? Welche Seite von sich konnte der- oder diejenige leben, der/die die Außenbeziehung gesucht hat? Was haben beide Partner dazu beigetragen, dass wichtige Erwartungen an das Miteinander nicht in der Partnerschaft zu ihrer Erfüllung gekommen sind? Das sind zentrale Fragen, mit denen der Berater dem Paar Hilfestellung zu einer Weiterentwicklung und einem möglichen Neuanfang gibt.

Im genauen Hinschauen auf die gemeinsame Entwicklung als Paar erkennt Heike für sich immer mehr: Es war bis zu Norberts Fremdgehen eben nicht einfach “alles gut” in der Paarbeziehung, so wie sie es bisher immer geäußert hatte. Der Berater ermuntert Heike das klar auszudrücken, was sie sich von Norbert gewünscht hätte und so nicht bekommen hat – Anteilnahme an ihren Gefühlen und Erlebnissen, die nicht nur die alltäglichen Dinge betreffen. Sie hat sich von ihm oft nicht genug beachtet und verstanden gefühlt; so hat sie ihn zunehmend mit Distanz bestraft, sich sexuell mehr und mehr zurückgezogen. Im Blick auf ihre Herkunftsfamilie wird deutlich, dass Heike die Botschaft mitbekommen hat: Es ist “unanständig”, laut seine Bedürfnisse zu äußern. Ihr Traum war es: In einer “wirklichen” Liebesbeziehung erkennt der Mann, was seine Partnerin braucht und sorgt da für sie. Zum ersten Mal seit langer Zeit kann Heike lachen. Es geschieht, als sie vom Berater den Satz hört: “Heimliche Bedürfnisse werden unheimlich selten erfüllt.” 

Genau so wie seine Frau bekommt auch Norbert in der Beratung den Raum, seine Unzufriedenheit auszusprechen, die ihn schon lange Zeit umgetrieben hat: Dass Heike in seiner Wahrnehmung deutlich mehr Mutter für die Kinder als Partnerin für ihn war, dass er die sexuelle Leichtigkeit und Lebendigkeit der Anfangsjahre vermisst hat. Gerade hier achtet der Berater auf ein gutes Gleichgewicht: Die “Wiedergutmachung”, die Norbert zu leisten hat, besteht eben nicht darin, dass er seine Frau schont, sondern dass auch er das in Worte fasst, was zwischen beiden lange Zeit unausgesprochen blieb.

“Kann ich je wieder vertrauen?”

Heike und Norbert machen in den Monaten der Beratungsgespräche gute Fortschritte miteinander – beide werden sich klar darüber, dass sie noch starke Gefühle füreinander haben, sie entdecken miteinander eine neue Lebendigkeit in ihrer Paarbeziehung auf allen Ebenen. In der großen Krise tun sich neue, bisher nicht zugängliche Chancen auf. Diese Erfahrung wird natürlich nicht allen Paaren in einer solchen Situation geschenkt. Aber eine Frage taucht für Heike immer wieder quälend auf, auch wenn sie mit ihrem Mann Schönes erlebt: “Kann ich ihm je wieder ganz vertrauen?”

Was ich hier in wenigen Zeilen beschreibe, ist für Heike ein langer Prozess: Sie entdeckt, dass nach der großen Enttäuschung nicht einfach „wieder alles gut“ werden kann. „Dass alles wieder so schön wie früher wird“ ist ein am Anfang einer solchen Beratung häufig geäußerter Wunsch. Heike hat bald erkannt: Das ist nicht nur unrealistisch, sondern auch nicht erstrebenswert. So gibt es auch kein „altes Vertrauen“ mehr, eines, das sich in der festen Gewissheit manifestiert: „Mein Partner/meine Partnerin wird nie fremdgehen!“ Die „rosaroten“ Zeiten sind vorbei.

Ein „neues Vertrauen“ lässt sich aus Sicht des Paares vielleicht so formulieren: Wir wissen, dass auch uns das passieren kann. Aber jeder von uns hat es in der Hand, im Vorfeld dagegen anzugehen: Ich sage dem/der anderen von mir aus, was mich bewegt. Mit meiner Lebens- und Beziehungsgeschichte vor Beginn der Partnerschaft setze ich mich selbst auseinander. Ich erwarte da nicht vom Partner, dass er einen Ausgleich schafft oder alte Wunden heilt. Ich benenne ohne Schuldvorwurf meine Unzufriedenheit und spreche offen über meine Wünsche, gerade im Bereich der Sexualität. Ich achte auf Signale der Unzufriedenheit bei meinem Partner in allen Bereichen. Wir holen uns rechtzeitig Unterstützung von außen, wenn wir alleine nicht weiter kommen.   

Abschied von „Rosarot“

Heike und Norbert haben erfahren: Es kann ein Paarleben nach einer Außenbeziehung geben. Es geht aber nicht einfach mit den bisherigen Mustern und Selbstverständlichkeiten weiter. Ein neuer Anfang ist möglich – wenn beide Abschied nehmen von „Rosarot“ und miteinander neue Farben entdecken.